Das Unbewusste sitzt im Fleisch
Psychoanalytische Überlegungen zum
affective turn“ und „body turn“ in der Geschlechterforschung

Sebastian Winter

Goethe-Universität Frankfurt a.M., SoSe 2015

Termine: 
Fr. 15.05., 16-18h, PEG 5.G 129
05./06.06., jeweils 10-16, PEG 5.G 129
12.06., 10-15h, PEG 5.G 129
13.06., 10-16h, PEG 5.G 056

 Seit einigen Jahren werden in den Geistes- und Sozialwissenschaften Gefühle und leibliche Empfindungen als Forschungsthema (wieder-)entdeckt. Auch die Geschlechterforschung setzt sich zunehmend mit dem „affective turn“ und dem „body turn“ auseinander. Dabei wird meist auf die Leibphänomenologie, Bourdieus Habitus-Theorie oder Kaufmanns Konzept der inkorporierten Gewohnheiten zurückgegriffen, wobei aber die Fragen nach den Mechanismen der „Einleibung“ weitgehend offenbleiben.
In der Lehrveranstaltung werden diese Zugänge konfrontiert und ergänzt durch zwei psychoanalytisch-sozialpsychologische Ansätze: die „Kritische Theorie des Subjekts“ von Alfred Lorenzer sowie die „Allgemeine Verführungstheorie“ Jean Laplanches. Diese Theorien bieten Möglichkeiten, Affekte als nicht biologische, aber dennoch leiblich verankerte zu verstehen. Basale Affekte entstammen demnach frühen, vorsubjektiven Interaktionserlebnissen und werden zunächst nicht psychisch, sondern nur leiblich registriert. Bei ihrer Übersetzung in die kulturellen Symbolsysteme, die sie zu bewusst wahrnehmbaren Gefühlen modifiziert, fallen notwendigerweise unübersetzbare „Reste“ an – Unbewusstes, das nur leiblich vorhanden und der Psyche entzogen ist. Vor diesem theoretischen Hintergrund wird Judith Butlers Entwurf von der melancholischen Natur der heteronormativen Geschlechter um eine leibliche Dimension erweitert.

Texte:

Seminarplan

Duden, Barbara (2008): Frauen-“Körper“: Erfahrung und Diskurs (1970-2004). In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.) Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Wiesbaden (VS), S. 601-615..

Villa, Paula-Irene (2011): Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch des Geschlechtskörper. Wiesbaden (VS), S. 15-34.

Lindemann, Gesa (1993): Das paradoxe Geschlecht. Transsexualität im Spannungsfeld von Körper, Leib und Gefühl. Frankfurt a.M. (Fischer), S. 34-63.

Maihofer, Andrea (1995): Geschlecht als Existenzweise. Frankfurt a.M. (Helmer), S. 79-98.

Jäger, Ulle (2014): Den Leib als Ort des Widerstands zum Sprechen bringen – mit Focusing. In: Dies.: Der Körper, der Lieb und die Soziologie. Entwurf einer Theorie der Inkorporierung. Königstein/Taunus (Helmer), S. 235-266.

Koppetsch, Cornelia/Burkart, Günter (1999): Die Illusion der Emanzipation. Zur Wirksamkeit latenter Geschlechternormen im Milieuvergleich. Konstanz (UVK), S. 156-160, 203-214, 317-320.

Baier, Angelika/Binswanger, Christa/Häberlein, Jana/Nay, Yv Eveline/Zimmermann, Andrea (2014): Affekt und Geschlecht: Eine Einleitung in Affekt-Theorien aus einer feministischen, queeren und post/kolonialen Perspektive. In: Dies. (Hg.): Affekt und Geschlecht. Eine einführende Anthologie. Wien (Zaglossus), S. 11- 29.

Freud, Sigmund (1915): Triebe und Triebschicksale. StA III, S. 75-102.

Zander, Michael (2012): Im Schutze der Unbewusstheit. Ansätze zu einer psychologischen Fundierung des Habitusbegriffs im Werk Pierre Bourdieus. In: Markus Brunner, Jan Lohl, Rolf Pohl, Marc Schwietring und Sebastian Winter (Hg.): Politische Psychologie heute? Themen, Theorien und Perspektiven der psychoanalytischen Sozialforschung, Gießen (Psychosozial), S. 145-160.

Lorenzer, Alfred (1981): Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik. Frankfurt a.M. 1984 (Fischer), S. 85-95.

Lorenzer, Alfred (1981): Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik. Frankfurt a.M. 1984 (Fischer), S. 109-117.

Lorenzer, Alfred (1981): Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik. Frankfurt a.M. 1984 (Fischer), S. 152-167.

König, Hans-Dieter (2000): Tiefenhermeneutik; in: Uwe Flick/E. von Kardorff/I. Steinke(Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek (Rowohlt), S. 556-569.

Laplanche, Jean (2008): Gender, Geschlecht, Sexuales, in: Forum der Psychoanalyse, Jg. 24, H. 2, 2008, S. 111-124.

Butler, Judith (1993): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt a.M. 1991 (Suhrkamp), S. 19-35.

König, Julia (2012): Triebnatur in Question. Alfred Lorenzers historisch-materialistische Psychoanalyse meets Judith Butlers Queer Theory. In: Markus Brunner, Jan Lohl, Rolf Pohl, Marc Schwietring & Sebastian Winter (Hg.), Politische Psychologie heute? Perspektiven – Themen – Theorien, Gießen (Psychosozial), S. 119-143.

Greß, Herbert (1995): Ein gesellschaftlich verordneter Rückzug. Über das Verschwinden der Hysterie. In: Zepf, Siegfried (Hg.): Diskrete Botschaften des Rationalen. Göttingen/Zürich (Vandenhoeck & Ruprecht), S. 84-124.