Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie (AG PolPsy)

Die Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie ist ein Zusammenschluss von SozialwissenschaftlerInnen der Leibniz Universität Hannover, der Hochschule Hannover sowie weiterer Hochschulen und Institutionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Anknüpfungspunkte sind die Traditionslinien und neueren Ansätze der Politischen Psychologie, die im Fach Sozialpsychologie in Hannover entwickelt worden sind. Diese werden unter aktuellen theoretischen und methodischen Prämissen fortgeführt und in neue Arbeitsfelder eingebracht.
Das Spezifikum dieser Politischen Psychologie besteht in der zentralen Einbindung der Psychoanalyse als kritischer Subjekttheorie in die Analyse von Politik, Geschichte, Gesellschaft und Kultur. Sie dient dazu, die bewussten und unbewussten Anteile der (kollektiven) Verarbeitungsprozesse von individuellen und gesellschaftlichen Erfahrungen in ihren Tiefendimensionen zu erkennen. Zu diesem Zweck erfolgt auch eine systematische Auseinandersetzung mit und Erweiterung von psychoanalytischer Konzept- und Grundlagenforschung. Die subjektiven Bedingungen der Beteiligung von Einzelnen und Gruppen an der Herstellung, der Aufrechterhaltung oder der Veränderung politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse sind schließlich ohne eine kritische Subjekttheorie ebenso wenig begreifbar, wie die sozialisationsvermittelten Spuren des Gesellschaftlichen im Subjekt ohne eine kritische Gesellschaftstheorie.
Dies zeigt sich insbesondere am thematischen Hauptfokus der AG PolPsy: der sozialpsychologischen Erforschung der Psycho- und Soziogenese von Macht- und Gewaltdynamiken und ihrer psychosozialen Folgen. Die Entwicklung gemeinsamer Forschungsfragen und die Bildung zentraler Arbeitsschwerpunkte kann auf der Basis dieser Grundannahmen nur transdisziplinär, d.h. ausgehend von fachübergreifenden Problemstellungen nach den Prinzipien integrativer Forschungsstrategien erfolgen.

Die AG forscht aktuell zu folgenden Schwerpunkten:
• Nationalsozialismus und Gefühlserbschaft: Probleme der Politischen Psychologie des Nationalsozialismus und seiner Folgewirkungen, unter besonderer Berücksichtigung von täterInnenpsychologischen und geschlechtertheoretischen Fragen sowie der intergenerationellen Dynamiken nach 1945.
• Gewalt und Trauma: Endogene und exogene Bedingungen, Voraussetzungen und Mechanismen von kollektiven Gewaltverhältnissen, ihren psychosozialen Dynamiken und Folgewirkungen sowie die kritische Reflexion des Traumabegriffs.
• Gemeinschafts- und Feindbildungsprozesse: Die kognitiven, affektiven und wahrnehmungspsychologischen Dimensionen von Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus, Muslimenfeindschaft und weiteren exkludierenden Mechanismen der Gemeinschaftsbildung in ihrem Bezug zur gesellschaftlichen „Normalität“.
• Migrationsgesellschaft und politische Subjektivität: Analyse und Kritik der von Migration mitbestimmten Gegenwartsgesellschaft, in der Zugehörigkeiten stark umkämpft sind und subjektive Zugehörigkeitsverständnisse sich in permanentem Wandel befinden. Politisch-psychologische Sozialforschung zu den Ursprüngen, Mechanismen und Folgen der Ethnisierung und Religionisierung sozialer Konflikte.
• Geschlecht und Sexualität: Dekonstruktion von „männlicher“ und „weiblicher“ „Geschlechtsidentität“ durch die Untersuchung der widerspruchsreichen Effekte geschlechtlicher Sozialisation im „Inneren“ der Subjekte. Sozial- und kulturwissenschaftliche Erforschung der Konstitutionsbedingungen von (vergeschlechtlichter) Sexualität im Kontext eines herrschaftsförmigen Geschlechterverhältnisses in Auseinandersetzung mit den psychoanalytischen Triebtheorien. Psychosoziale Ursachen, Dynamiken und Funktionen sexueller Gewalt. Affektive Untergründe der aktuellen Diskurse über die „Krise“ der Geschlechterordnung.
• Arbeit und Subjektivität: Analyse von Zusammenhängen des Wandels der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit mit Veränderungen von Subjektivität sowie des Verhältnisses von Fremd- und Selbstbeherrschung. Psychisches Leiden im Kontext der Prekarisierung und Entgrenzung von Arbeit unter neoliberalen Bedingungen. Erörterung der Bedingungen, Schranken und Möglichkeiten von Autonomie.
• Neue Medien und Soziale Bewegungen: Informations- und Kommunikationstechnologien im gesellschaftlichen und kulturellen Strukturwandel und damit einhergehende Transformationen von Sozialisationsbedingungen, politischen Subjektivitäten und sozialen Bewegungen. Kritische Medienbildung im Kontext politischer Bildungsarbeit und Sozialer Arbeit.

Die AG PolPsy will das Potential der Politischen Psychologie für Forschung und Theoriebildung in Soziologie, Politik-, Kultur- und Geschichtswissenschaft durch Beiträge zu den jeweiligen Fachdiskursen verdeutlichen. Darüber hinaus möchten wir politisch-psychologische Analysen aktueller gesellschaftlicher sowie psychosozialer Konflikt- und Krisendynamiken auch in außerakademische Debatten einbringen und somit breiteren Öffentlichkeiten zugänglich machen. Durch unsere regelmäßigen Jours fixes, Tagungen, Workshops und gemeinsame Publikationen wollen wir – im Austausch mit unseren KooperationspartnerInnen – einen Diskussionsraum schaffen, in dem Perspektiven der Politischen Psychologie vertieft und weiterentwickelt werden.