Jour fixe im April

Mi, 15.04.2015, 18.00
Im Moore 21, Raum A 210

Christine Morgenroth (Hannover):
Gesellschaftskrankheit Depression

Depressionen gelten als neue Volkskrankheit, die jedoch Frauen mehr als doppelt so häufig betrifft. Ich werde in meinem Vortrag der Frage nachgehen, ob es sich bei der deutlich steigenden Häufigkeit der Diagnose um ein modernes Konstrukt handelt oder ob und wie veränderte Lebens- und Arbeitsbedingungen die subjektive Strukturbildung derart beeinflussen können, dass sie zu depressiven Erscheinungen führen.

Prof. Dr. Christine Morgenroth ist APL-Professorin für Sozialpsychologie in Hannover sowie Supervisorin und Psychotherapeutin in eigener Praxis. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind seit Langem das Verhältnis von Arbeitsbedingungen und seelischer Gesundheit. Letzte Buchveröffentlichung: Die dritte Chance. Therapie und Gesundung von jugendlichen Drogenabhängigen. VS-Verlag 2012.

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Jour fixe im März

Mi, 18.03.2015, 18.00 Uhr
Im Moore 21, Raum A210

Dr. Evelyn Keidel (Hannover):
Vom Judentum zum Christentum – und zurück.
Die psychischen Folgen eines erzwungenen Religionswechsels jüdischer Kinder-Überlebender der Schoa

Im Zweiten Weltkrieg gehörte es zu den erklärten Zielen der national¬sozialistischen Politik, das Judentum durch die Ausrottung seiner Kinder an der Wurzel zu treffen. Dennoch überlebten etliche Kinder, selten durch Eigeninitiative, häufiger durch die Aufnahme in katholischen Klöstern oder in christlichen Pflegefamilien. Dafür mussten sie nicht nur ihre bisherige Lebensform aufgeben, sondern auch das Christentum annehmen. Zu den typischen Folgen dieser identifikatorischen Übernahme gehörte die Introjektion des auf die Kinder projizierten antijüdischen Feindbilds der „Gottesmörder“.
Der Vortrag wird sich mit diesen psychischen Belastungen und kognitiven Umorientierungen beschäftigen, die der erzwungene Religionswechsel den durch das Kriegsgeschehen und die Verfolgung ohnehin extremtraumatisierten Kindern abverlangte.

Dr. Evelyn Keidel hat an der Leibniz Universität Hannover Sozialpsychologie, Geschichte und Religionswissenschaft studiert und 2013 über das Thema des Vortrags promoviert.

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Jour fixe im Februar

Do, 12.02.2015 | 20:00
Im Moore 21 | Raum A210

Achtung: Veränderte Uhrzeit beachten!

Esin Erman und Carsten Ilius (Berlin):
Von gemeinsamen Bonbondosen, jüngsten Gerichten und vermeintlicher Nüchternheit
Der NSU-Prozess als Chance zur Aufarbeitung des strukturellen Rassismus in Deutschland

Im NSU-Prozess, der seit 2013 vor dem Münchner Oberlandesgericht stattfindet, wird gegenwärtig die Tatbeteiligung Beate Zschäpes und vier vermutlicher Unterstützer der Mord-, Bombenattentate- und Bankraubserie dieser neonazistischen Terrorgruppe verhandelt. Jenseits der Schuldfrage der fünf Angeklagten bemüht sich die Nebenklage, Fragen nach möglichen weiteren Tatbeteiligten, einem bundesweiten NSU-Netzwerk, der Rolle von V-Personen und des Einflusses von strukturellem Rassismus auf die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden zu thematisieren. Vonseiten der Staatsanwaltschaft und des vorsitzenden Richters ist diese „Erweiterung“ des Blicks im Münchner Prozess aber nicht erwünscht – so verweigerte etwa die Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis, dass es sich hier nicht um „das jüngste Gericht“ handele, Fragen nach ideologischen Hintergründen der NSU-UnterstützerInnen. Wiederholen sich im NSU-Prozess dieselben Ausschließungs- und Vergemeinschaftsprozesse, die schon die Ermittlungsarbeit und die Presseberichterstattung über die so genannten „Dönermorde“ geleitet haben?

Esin Erman ist Psychotherapeutin in Berlin, arbeitet in eigener Praxis mit Opfern und Angehörigen von Opfern rassistischer Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen und zum Thema Ausgrenzung, Rassismus und Psychotherapie.
Carsten Ilius ist Rechtsanwalt in Berlin und Nebenklagevertreter im Münchner NSU-Prozess für Elif Kubasik, deren Mann Mehmet 2006 in Dortmund vom NSU ermordet wurde.

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Jour fixe im Januar

14. Januar 2015, 18:15 Uhr
Im Moore 21, Raum A210

Ute Grundmann (Berlin):
Antisemitismus, Holocaust und der „Generationenvertrag“.
Die transgenerationelle Weitergabe von Denk- und Ge-fühlsmustern vom Nationalsozialismus bis in die DDR

Ohne Zweifel sind Mechanismen der Verleugnung und Verdrängung des Holocaust in der deutschen Gesellschaft auch heute noch wirksam. Wo jedoch in Westdeutschland vor allem nach 1968 eine verzögerte und immer wieder behinderte öffentliche Auseinandersetzung stattgefunden hat, so ist für die Behandlung der Shoa in Ostdeutschland bis 1989 eine anhaltende gesellschaftliche Verleugnung der Dimensionen dieser Vernichtung kennzeichnend. Indem der Antifaschismus als Ursprungsmythos und Legitimationsinstanz der DDR etabliert worden war, konnte jede individuelle Verantwortung für die Vernichtung der Juden im Nationalsozialismus auf den Westen Deutschlands projiziert werden. Diese unterschiedliche Integration der Shoa in das kollektive Gedächtnis mag ein Grund dafür sein, dass vor allem die affektiven Verstehenszugänge zwischen Ost und West bis heute oft blockiert bleiben.
Der Vortrag macht die psychische Dynamik der Entstehung, Struktur und Erscheinung einer transgenerationalen „Gefühlserbschaft“ und ihrer Folgen am Beispiel der eigenen Familie zum Thema und versucht die Geschichte der „Vergangenheitsbewältigung“ in Ost und West als gemeinsame Geschichte zu begreifen.

Uta Grundmann ist Kunsthistorikerin. Sie beendet derzeit ihr Studium der Psychologie an der International Psychoanalytic University Berlin und arbeitet seit 2013 in der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz dieser Universität.

Mit freundlicher Unterstützung des AStA Hannover.

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Jour fixe im Dezember

Mi, 17.12.2014 | 18:15 Uhr
Im Moore 21 | Raum A210

Matthias Monecke (Frankfurt a.M.):
Zur Logik des Antisemitismus

Eine grundsätzliche Frage der Antisemitismusforschung ist und bleibt die nach der Genese. Seit Moishe Postone Ende der 70er Jahren erstmals den Versuch unternommen hatte die Rezeption der marxschen Fetischkritik systematisch auf diese Frage anzuwenden, ist die Logik des Antisemitismus vom Geheimtipp zu einer zentralen Schrift für die gesellschaftskritische Antisemitismusforschung avanciert – die kapitalistische Produktionsweise, welche die Menschen nötigt sich fetischistisch (im marxschen Sinne) zu verhalten, habe eine spezifische Form des Denkens geschaffen. Diese Denkform, als ideologische Mission im Holocaust gipfelnd, sei mit einem verhältnismäßig geringem Anteil an Emotionen und unmittelbarem Hass ausgekommen, so Postone. Doch ist ideologischer Antisemitismus, wie er heute beispielsweise wieder viel Anklang bei Verschwörungstheorien findet, tatsächlich hauptsächlich durch Denken geprägt?
Im Vortrag soll neben der Kritik des fetischistischen Antisemitismus eine zusätzliche, subjekttheoretische Perspektive eröffnet und der Versuch unternommen werden, Denkweise & Leidenschaft, notwendig falsches Bewusstsein & das Unbewusste, in ein Verhältnis zu setzen.

Matthias Monecke studiert, im Anschluss an ein Studium der Sozialwissenschaften in Hannover, derzeit im Master Soziologie in Frankfurt am Main.

Mit freundlicher Unterstützung des AStA Hannover.

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