Solidaritätserklärung mit den BesetzerInnen des Sigmund Freud Instituts in Frankfurt a.M.

Die Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie an der Leibniz-Universität Hannover begrüßt die friedliche Besetzung des leerstehenden Sigmund Freud Institutes in Frankfurt a.M. und den Einsatz von Studierenden und AktivistInnen für autonome selbstverwaltete Räume an der Universität. Hintergrund ist hierbei auch die schlimme Erfahrung der Abschaffung der psychoanalytischen Sozialpsychologie und der sozialpsychologischen Geschlechterverhältnisforschung an der Uni Hannover, die auch gegen die erklärten Interessen vieler Studierender autoritär durchgesetzt wurde. Kritisches Denken braucht aber gerade unter neoliberalen Bedingungen auch an der Universität, einer verschärften Konkurrenz auch unter Studierenden und dem sich intensivierenden Eindringen gesellschaftlicher Herrschaft in die Individuen Zeit und Raum. Die Arbeitsgemeinschaft erklärt sich daher mit dem Eintreten des Aktionsbündnisses 15.2. für eine psychologisch informierte Gesellschaftskritik und die psychoanalytische Sozialpsychologie solidarisch. Zu einer inhaltlicher Unterstützung etwa von Veranstaltungen und Vortragsreihen ist die AG, soweit sie ihr möglich ist, in Zukunft sehr gerne bereit.

Jour fixe im März

13. März 2013, 18:00 Uhr Im Moore 21, Raum A210 Torsten Passie (Hannover/Boston): Traum, Trance und Ekstase Ihr Verschwinden in der Kulturgeschichte des Abendlandes Rauschhafte und ekstatische Erfahrungen gehören zum gemeinsamen Erfahrungsschatz der Menschheit. Im Verlauf der Menschheitsgeschichte kam es zu einer sehr unterschiedlichen Bewertung und Würdigung dieser Erfahrungen. In der Vorzeit standen diese Erfahrungen bzw. Zustände im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens und es wurde ihnen großer Respekt und eine die Lebenswirklichkeit gestaltende Macht zuteil. Im Fortgang der Zivilisationsgeschichte kam es zu einer zunehmenden Objektivierung der Natur und eigener Befindlichkeiten. Dieser Prozess führte zu einer Ausgrenzung dieser eminent subjektiven Erfahrungen bzw. ihrer Abdrängung in die Sphäre des Privaten. Ehemals bestehende rituelle Zugangsmöglichkeiten in den Bereich dieser Erfahrungen wurden vermindert bzw. gänzlich ausradiert. Dabei spielten kirchliche und gesellschaftliche Ansprüche auf die Definition und Wertung solcher Erfahrungen, aber auch die Disziplinierung von Körper und Emotionen eine wesentliche Rolle. Der Vortrag skizziert die geistes- und kulturgeschichtlichen Zusammen-hänge, um Kontexte ekstatischer Erfahrungen zu verklaren und aufzuzeigen, wie ein immer stärkerer „Ekstaseentzug“ geschichtlich zustandekam. Prof. Dr. med. Torsten Passie studierte Philosophie, Soziologie (M.A.) und Medizin. Er ist derzeit Gastprofessor für Psychiatrie an der Harvard Medical School in Boston, USA. Plakat zum Jour fixe

Jour fixe im Februar

13. Februar 2013,18:00 Uhr Im Moore 21, Raum A210 Sandra Fernau (Hannover): Narrative männlicher Opfererfahrungen Fallstudien zur Verarbeitung des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Kontext Das Phänomen des sexuellen Kindesmissbrauchs in katholischen Einrichtungen und Gemeinden erhielt mit dem Bekanntwerden zahlreicher Vorfälle in den vergangenen Jahren große Aufmerksamkeit. Die im Vortrag vorgestellte qualitative Interviewstudie mit hiervon Betroffenen greift diese Thematik auf. Im Mittelpunkt steht die Rekonstruktion von Deutungsmustern und Verarbeitungsversuchen der traumatischen Erfahrungen anhand von drei biographischen Fallstudien. Die zwischen einer Bagatellisierung, Skandalisierung und Sakralisierung des Missbrauchsgeschehens variierenden Interpretationsschemata der männlichen Betroffenen werden im Rückgriff auf sozialisationstheoretische und psychoanalytische Annahmen analysiert. Sandra Fernau (Hannover), Diplom-Soziologin, arbeitet am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) als Promotionsstipendiatin in einem Forschungsprojekt zum sexuellen Missbrauch durch katholische Geistliche. Plakat zum Jour fixe

Jour fixe im Januar

16. Januar 2013, 18h Im Moore 21, Raum 210 Heinz-Jürgen Voß (Hannover & Frankfurt): Der deutsche Diskurs um die Vorhautbeschneidung Der Präsident der Bundesärztekammer Montgomery beurteilte das Urteil des Kölner Landgerichts als „für die Ärzte unbefriedigend und für die betroffenen Kinder sogar gefährlich“. Die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie warnte vor den Auswirkungen, die mit der „Missachtung [von] kulturellen und religiösen Identität[en]“ verbunden sein könnten, und regte zu einer toleranten gesellschaftlichen Aushandlung an. Heinz-Jürgen Voß stellt das Buch „Interventionen gegen die deutsche ‚Beschneidungsdebatte‘“ vor, erläutert den medizinischen Forschungsstand und betrachtet den deutschen Diskurs, der rassistisch geprägt war. Horkheimer/Adorno: „Das Wunder der Integration aber, der permanente Gnadenakt des Verfügenden, den Widerstandslosen aufzunehmen, der seine Renitenz hinunterwürgt, meint den Faschismus.“ Dr. Heinz-Jürgen Voß forscht und lehrt zu biologie- und medizinethischen Themen. Zuletzt veröffentlicht: Geschlecht (2011); Intersexualität – Intersex (2012); Interventionen gegen die deutsche „Beschneidungsdebatte“ (2012, gem. mit Salih Alexander Wolter und Zülfukar Çetin).

Jour fixe im November

22. November 2012, 19 Uhr Schneiderberg 50, Raum A410/41 Lars Rensmann (Rom): Gruppenbild und Ressentiment. Zur politischen Psychologie des Antisemitismus in der Gegenwart Die Debatte um die Beschneidung und körperliche Unversehrtheit von jüdischen und muslimischen Kindern; Günter Grass’ Gedicht “Was gesagt werden muss”; die Diskussion um den akademischen und kulturellen Boykott des jüdischen Staates Israels – allein in drei signifikanten öffentlichen Kontroversen der letzten Wochen und Monate reüssierte direkt oder indirekt der Topos und Horizont des Antisemitismus. Es ist, scheinbar paradoxerweise, zugleich indes eine der gängigsten Tropen des öffentlichen Diskurses, dass Antisemitismus heute vornehmlich ein Phänomen der Vergangenheit darstelle, von einzig historischer Relevanz (mithin deshalb nur eine illegitime, instrumentalisierte Konstruktion und Zuschreibung), oder aber scharf umgrenzt und lokalisierbar am Rand oder außerhalb der Gesellschaft. Der Vortrag geht der These vom „Verschwinden des Antisemitismus“ nach und diskutiert sowohl anhand von kritisch-theoretischen Grundlagen als auch von empirischen Befunden Möglichkeiten und Perspektiven einer politisch-psychologischen Forschung zum Antisemitismus heute. Dabei werden die aktuellen Kontroversen selbst zum Gegenstand als auch sozialwissenschaftliche Erhebungen im europäischen Kontext herangezogen. Lars Rensmann ist Associate Professor of Political Science am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der John Cabot University in Rom und Permanent Fellow am Moses Mendelssohn Zentrum für Europäisch-Jüdische Studien an der Universität Potsdam. 2006-2012 DAAD Professor an der University of Michigan in Ann Arbor; zudem internationale Lehr- und Forschungstätigkeiten an der Yale University, der University of California in Berkeley, an der Humboldt Universität zu Berlin, der FU Berlin, der Universität Wien und dem Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien sowie der Universität von Haifa. Eine Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie in Kooperation mit der Amadeu Antonio Stiftung und dem Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus.